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SeMa Senioren Magazin Hamburg Ausgabe September 2016

Senioren Magazin Hamburg Den Jahren ein mehr am Leben und nicht nur dem Leben ein mehr an Jahren geben!

11 SeMa: Demenz – das ist für viele Menschen, auch geprägt durch die Medien, nur das Bild alter Menschen, die kaum noch am Leben teilnehmen können. Warum wird, Ihrer Meinung nach, die Demenz immer im Endstadium gezeigt? Also die De- fizite in den Mittelpunkt gestellt, nicht das, was noch geht? Rohra: Es liegt an einer politischen, gesellschaftlichen Haltung. Stellen Sie sich vor, plötzlich würden Menschen mit Demenz etwas fordern. Davor hat die Gesellschaft Angst, weil sie nicht darauf vorbereitet ist. In meinem neuen Buch bin ich sehr kritisch, weil ich sehe, wo wir stehen in Deutschland. Und wir müssen uns öffnen. Es geht ja um eine gewaltige Zahl von 1,5 Mio. Betroffenen. Und es werden mehr. Es ist ja nicht so, dass wir sagen: Das haben wir im Griff und in ein paar Jahren sind es nur noch 300.000. Es wird sich verdoppeln und verdreifachen. Von Menschen, die heute 30 bis 40 sind, wird es im Alter jeder zweite sein, der betroffen ist. Ich bekomme Fragen von Erkrankten, was der Angehöri- ge mit ihnen noch machen kann. Wie ein erfülltes Leben möglich ist. Die Frage ist doch aber, was möchte ich noch machen mit den Angehörigen. Wozu habe ich noch Lust, wo ist der Sinn in meinem Leben. Angehörige sagen mir nach Vortägen oft: „Also, wissen Sie, wenn ich Sie so höre, habe ich keine Angst mehr vor so einer Diagnose. Ich weiß, wie ich mein Leben in die Hand nehmen kann.“ Das spornt mich an, weiterzumachen, weil ich etwas bewege. Diese Botschaft wird ja weitergetragen. Ich wünsche mir von der Presse auch Mutmachgeschichten und nicht immer den Blick auf das Ende der Demenzer- krankungen. SeMa: Und wenn das Ende dann doch kommt? Rohra: Demenz hat einen Beginn und ein Ende. Wir müs- sen das Leben in Würde, Teilhabe und Akzeptanz leben. Ich möchte mich vorbereiten und sagen, was ich möchte, wenn ich mich nicht mehr artikulieren kann oder meinen Sohn nicht mehr erkenne. Ich möchte ein Heim, in das ich meinen Hund mitnehmen kann. Ich möchte nicht eingesperrt wer- den, sondern in den Garten gehen können. Wenn man nicht den Mut hat, darüber zu sprechen, wird irgendwann etwas mit einem gemacht. Jeder sollte sich ohne Angst auf seinen Tod vorbereiten. Die einen gehen, die anderen kommen. Es ist doch wichtiger, welche Spuren wir hinterlassen. SeMa: Wenn das Erinnern schwerer fällt und die Zukunft nicht zuverlässig planbar ist, wird das Hier und Jetzt wich- tiger. Wie gestalten Sie Ihren Alltag? Rohra: Mein Alltag hat Struktur und muss mir immer Freude machen. Wichtig ist es für mich, mit meinem Hund Henri auf die Wiese zu gehen. Wenn ich einen schwachen Tag habe, führt er mich sogar nach Hause. Es gibt andere Prioritäten, wenn einem so viel weggenommen wird. Spon- tane Ausflüge finde ich super, aber einen Termin in zwei Wochen zu vereinbaren, ist schwierig. Mein Arzt sagt mir immer, dass die Demenz schon weiter fortgeschritten wäre, wenn ich nicht so aktiv wäre mit den Reisen, Vorträgen, der Sprach- und Ergotherapie. Deswe- gen halte ich meinen Zustand, weil ich das so will. Ich bin dankbar für jeden guten Tag. SeMa: Sie machen Menschen mit Demenz und Ihren Ange- hörigen Mut, offensiv mit der Erkrankung umzugehen und sich nicht dafür zu schämen. Was wünschen Sie sich von Ihrer Umwelt im Umgang mit Ihnen und an Demenz Er- krankten im Allgemeinen? Rohra: Ich wünsche mir, dass Menschen mit Demenz po- tenzialorientiert gesehen werden, nicht nur das Krankheits- bild. Ich möchte als Mensch gesehen werden, mit dem, was ich noch kann. Ich möchte, dass Menschen im Anfangsstadium mit einbe- zogen werden in Planungen, in Gremien und Projekten. Es gibt nur fachliche Zeitschriften über Demenz und da sind die Erkrankten überfordert. Man muss in einfacher Sprache den Menschen zeigen, was noch möglich ist und positive Dinge berichten. SeMa: In Ihrem Buch von 2012 fordern Sie, dass mehr Be- troffene Anteil haben in entsprechenden Fachgesellschaften und Vereinen. Hat sich diesbezüglich etwas getan? Rohra: Das wäre der einzig wahre Weg. Wir haben zwar eine Behindertenbeauftragte für Menschen mit körperlichen Einschränkungen, aber bei dieser Anzahl von Menschen mit Demenz wäre das ja in diesem Gebiet auch notwendig. Ich werde weiter konstruktive Kritik üben und mich für uns einsetzen auch im Hinblick für die nächste Generation. SeMa: Sind andere Länder da fortschrittlicher? Rohra: In Deutschland leisten Menschen wie ich Pionier- arbeit. Es wird keine 10 oder 15 Jahre dauern, dann wird sich vieles verändert haben. In den Niederlanden bekom- men Menschen mit einer Demenzdiagnose sofort einen As- sistenten an die Seite gestellt. Der ist nicht dafür gedacht, um mich anzuziehen, sondern um mich in Würde zu beglei- ten. Er füllt bei Bedarf Formulare aus, geht spazieren oder schreibt Mails. In einigen nordischen Ländern gibt es eine gute psychologische Bertreuung. Ein großer Teil meiner Persönlichkeit wird mir durch die Demenz genommen. Ich komme auf eine Stufe, in der ich etwas lernen müsste, weil ich Dinge vergesse, aber es nicht kann. Es macht mich ja traurig, wenn mir das bewusst wird. Es gibt Menschen, die weinen nonstop. In Deutschland geben Ärzte dann Medi- kamente. Aber Demenz ist eine Familienerkrankung, denn alle leiden mit, wenn es diese Diagnose gibt. Der psychoso- ziale Aspekt ist sehr wichtig, weil er die Behandlung nicht nur auf die Medikamente für den Patienten reduziert. SeMa: Danke für das Gespräch. S. Rosbiegal © SeMa Buchtipps: Helga Rohra, ’Ja zum Leben trotz Demenz! Warum ich kämpfe‘, 2016, medhochzwei Verlag, € 18,99 Helga Rohra, ’Aus dem Schatten treten. Warum ich mich für unsere Rechte als Demenzbetroffene einsetze‘, 2012, Mabuse-Verlag, € 16,90

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